- estnische Literatur.
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Eine eigenständige estnische Literatur bildete sich erst gegen Mitte des 19. Jahrhunderts heraus. Als erstes gedrucktes Buch in estnischer Sprache war 1535 die Übersetzung eines lutherschen Katechismus erschienen. - Die alte estnische Volksdichtung bestand im Wesentlichen aus mittelalterlichem und frühneuzeitlichem Liedgut in alliterierenden, endreimlosen Achtsilblern. Die im 19. Jahrhundert, v. a. auf Initiative von Jakob Hurt (* 1839, ✝ 1907), angelegten Sammlungen gehören heute zu den größten der Erde. - Von großer Bedeutung für die weitere sprachliche und literarische Entwicklung war das von F. R. Kreutzwald in romantischem Geist nach dem Vorbild des finnischen »Kalevala« aus Liedern und Sagen zusammengestellte Nationalepos »Kalevipoeg« (1857-61; deutsch).In der um die Mitte des 19. Jahrhunderts einsetzenden Nationalromantik entstanden neben patriotischer Lyrik und Bauernepik mit den Stücken von L. Koidula erste estnische Dramen. Mit europäischen Bewegungen setzte sich die estnische Literatur erstmals im Realismus der Jahrhundertwende in Beziehung (J. Liiv mit suggestiver Naturlyrik; E. Vilde mit sozialkritischen Romanen). Die die Autonomie des Dichters betonende Bewegung »Noor-Eesti« (Jung-Estland) unter der Führung von G. Suits und Friedebert Tuglas (* 1886, ✝ 1971) knüpfte an die europäische Neuromantik an. Das estnische Theater (A. Kitzberg; Vilde) erlebte unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg einen Aufstieg. Mit dem Durchbruch einer dem Expressionismus nahe stehenden Moderne um 1917 trat die Lyrik in den Vordergrund (M. Under; H. Visnapuu. In den Jahren der Eigenstaatlichkeit wurde der Roman zur Hauptgattung (A. H. Tammsaare; August Mälk, * 1900, ✝ 1972); auch die Novelle erreichte ein hohes Niveau (Tuglas; A. Gailit). Eine neue Generation trat vor dem Zweiten Weltkrieg hervor, in der Lyrik v. a. Bernhard Kangro (* 1910) und Betti Alver (* 1900), in der Prosa K. Ristikivi.Seit 1944 entwickelte sich neben der sowjetestn. Literatur eine estnische Emigrantenliteratur. Die ungehinderte Auseinandersetzung mit der modernen westlichen Literatur und ihren modernistischen Strömungen, das Experimentieren mit neuen Formen (surrealistische Lyrik von Ilmar Laaban, * 1921, und Kalju Lepik, * 1920) und Ausdrucksmöglichkeiten (Prosa Kangros; Ristikivis; Arved Viirlaids, * 1922; Ivar Grünthals, * 1924; u. a.) kennzeichnet die estnische L. des Exils, aber auch die sich besonders in den 60er-Jahren stärker entfaltende sowjetestn. Literatur. Bereits seit den 80er-Jahren haben Prosaautoren, u. a. J. Kross, Lilli Promet (* 1922), L. Meri, E. Vetemaa, und Lyriker, u. a. Debora Vaarandi (* 1916) und Ellen Niit (* 1928), die geschichtliche Thematik aufgegriffen und damit wesentlich zur Erhaltung und Wiederbelebung des estnischen Nationalbewusstseins beigetragen. Mit Paul-Eerik Rummo (* 1942), dem Schöpfer einer assoziationsreichen Dichtung, der Lyrikerin Viivi Luik (* 1946), Jaan Kaplinski (* 1941, Lyrik), den Erzählern Arvo Valton (* 1935), M. Traat (Lyrik, Prosa) und M. Unt (* 1944) traten außerdem die Vertreter der in der Nachkriegszeit geprägten Generation hervor. Daneben repräsentieren die estnische Literatur, die sich seit der Unabhängigkeit des Landes 1990/91 verstärkt auch bisher tabuisierten Themen der Geschichte Estlands widmet, in der Lyrik u. a. Priidu Beier (* 1947), Doris Kareva (* 1958), Tõnu Trubetzky (* 1963), Karl Sinijärv (* 1971) sowie in der Prosa Viivi Luik, (* 1946), Mari Saat (* 1947), Ülo Mattheus (* 1956) und Maimu Berg (* 1945); diese Tendenz setzt sich auch in der Annäherung an die Werke und Autoren der estnischen Literatur des Exils fort.A. Oras: Estonian literature in exile (Lund 1967);A. Mägi: Estonian literature (Stockholm 1968);E. Nirk: Estonian literature (Tallinn 21987);C. Hasselblatt u. V. Pirsich: E. L. in dt. Sprache 1802-1985. Bibliogr. der Primär- u. Sekundärlit. (1988);F. Scholz: Die Literaturen des Baltikums. Ihre Entstehung u. Entwicklung (1990);
Universal-Lexikon. 2012.